Samstag, 14. Dezember 2013

Überwältigung


Scheinbar rücksichtslos wird sie umgeworfen, nur noch knapp kann sie sich an einem männlichen Oberarm festhalten. Ein bisschen musste ich schon grinsen, als sie sich mit aufgerissenen Augen den Weg zurück zu mir gesucht hatte.
Links, rechts, vorne, hinten. Überall sind sie. Die Luft: stickig. Das Atmen fällt schwer. Haare, an meiner ganzen Hand sind Haare. Sie kleben, wie alles restliche an meinem Körper. Ellbogen wird in meine Taille gerammt. Chill mal! Chillen? In so einer Situation? Unmöglich.

Der Typ, zwei Positionen links von mir, sozusagen mein Übernachbar, ist trotzdem ärmer dran. Er hat die blonde Filzmähne eines schätzungsweise 1.85 m grossen Trolls im Gesicht. Für ihn eine vermutlich ähnlich klebrige Angelegenheit, wie die meiner Hand. Oh, die hätte ich ja um ein Haar vergessen. So quetsche ich meine Hand gen Oberschenkel, möglichst ohne, dass es so rüberkommt, als betouche ich des vor mir stehenden Asiatens Arsch. Da wäre seine Freundin wohl weniger erfreut. Obwohl, Stress kann es hier wohl kaum geben, dafür sind alle viel zu euphorisch. Und nein, das liegt nicht am Weingeist.
Sind diese blöden Dinger jetzt endlich weg? Eines klebt noch, auch egal, ich habe momentan anderes im Kopf. Wassertropfen landen auf mir, nette Erfrischung. Adrenalin wird durch meine Adern gepumpt und mein Gesicht kommt farblich, wie auch vom Glanz her, locker an einen polierten Apfel heran. Plötzlich ist auch noch ein Mensch über mir, als ob es nicht schon genug wären. Sein Gesichtsausdruck hat etwas von Jack Nicholson, angsteinflösend. Wie in Trance wandert er über die Massen.

Gott sei Dank, war ich vor zwei Stunden auf dem Klo, ich wüsste nicht, ob ich da jemals wieder raus gefunden hätte. Verdammt, ich sollte meinen Arm nicht mehr nach vorne bewegen. Na gut, dann tippe ich der guten Frau eben auf die Schulter und biete ihr mein einziges Haargummi an mit dem Kommentar: "Sonst hast du morgen keine mehr auf dem Kopf." Sie ist mir sehr dankbar dafür. Ein Haargummi, das wärs doch jetzt! Für was bin ich heute morgen duschen gegangen? Meine Haare sind beinahe so nass wie im Badezimmer vor dem Föhnen. Nur dass es dort nach frischem Grapefruit-Duschgel gerochen hat, statt dieser penetranten Mischung aus Schweiss, Bier, männlichem Axe-Deo und Mundgeruch. Ich hoffe inständig, dass sich dieser Geruch  nicht in meinem durchtränkten Shirt und in meinen nassen Haaren festsetzt. Unser Geographielehrer hätte wohl an der Stelle gesagt: "die Luft ist gesättigt". Draussen Winter mit Schnee, drinnen subtropischer Regenwald. Ich bin alle fünf Minuten extrem froh, um die für mich einzige Hoffnung in Form von kalten Luftstössen aus der Luke an der Decke.


Vier Zeilen können unglaublich viel auslösen, so viel, dass es mir schwer fällt es in Worte zu fassen. Anfangs Glück, weil sie mit schönen Zeiten in Verbindung gesetzt werden, vermischt mit Betrübtheit, da es vorbei ist. Ich verliere die Kontrolle über meinen ganzen Körper, so ähnlich muss sich der Typ vorhin über der Menschenmasse gefühlt haben. Jetzt bloss nicht umkippen. Jedes einzelne Wort dieser drei Minuten und 28 Sekunden klingt automatisch aus meinen Mund, samt Screams:


My weakness is that I care too much
And my scars remind me that the past is real
I tear my heart open just to feel 



aus der vierten Reihe


 Das Konzert war der absolute Hammer.
Danke Coby, ich bin so froh, dass du noch unter uns bist.



 
PS: Das Haargummi bekam ich beim Loveparade-ähnlichen Garderobengequetsche sogar wieder zurück! :)

1 Kommentar:

  1. Schön bunter Eintrag, die Beschreibung der Sinneswahrnehmungen vermittelt Atmosphäre – Musik und Lautstärke werden interessanterweise kaum beschrieben, Schweiß, Haare, Gerüche dafür umso mehr. Der Titel lässt auf Euphorie schließen, allerdings handelt der größte Teil des Textes gar nicht von Euphorie, sondern von Kampf :) PS Dass Sie den Namen der Band nicht nennen, lässt mich vermuten, dass man diese Information nicht verdient, wenn man sie braucht, richtig? Oder haben Sie das einfach vergessen?

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