Mittwoch, 13. November 2013

Bildung und Motivation

Manchmal wundere ich mich, ob das, was ich in der Schule lerne mir irgendwann in meinem Leben zu Nutze gemacht werden kann. Werde ich jemals meinem Sohn erklären müssen, was der Unterschied zwischen dipolarer Anziehung und Van-der-Waals-Kräften ist? Habe ich vor fünf Jahren nicht schon das gleiche gedacht, als in Ethik und Religionen die verschiedenen Götter des Hinduismus Thema waren? 

Gestern kam meine Nachhilfschülerin, und ich musste ihr helfen, Bilder von verschiedenen religiösen Objekten jeweils zu beschreiben und einer Religion zuzuorden. Ohne irgendwelche Vorgaben, weder Text, noch mündliches aus ihrem Unterricht. Die orthodoxe 13-jährige Minea kannte den Namen der katholischen Gebetskette nicht und hatte noch nie von Tutanchamun gehört. Auf den Bildern waren auch mir suspekte Glocken und Drachenstatuen abgebildet. Sicher die Hälfte der Objekte konnte ich selbst keiner Religion zuweisen und musste hilflos nach "achtarmiger gott religion" googlen. Zugegeben, das ist mir schon recht peinlich. Aber im Bez-Zeugis stand nunmal bei Ethik und Religionen jeweils nur "besucht". Ja, ich habe in 40mal 45 Minuten meiner Lebenszeit verschwendet, nur weil ich lieber aus dem Fester geschaut habe, statt meine gesamte Aufmerksamkeit Frau Germanns Vorträgen zu widmen. 
Aber kennt dieses Gefühl nicht jeder von euch? Sobald man etwas zu tun hat, wie Englisch lernen, weckt alles, das gerade in unmittelbarer Nähe des Englischbuchs ist, erstaunliches Interesse. Seien das alte Fotoalben, die nicht ganz perfekt lackierten Fingernägel oder ein pinkes Tagebuch mit haarsträubenden Einträgen. Dabei werfen sich natürlich viele Fragen auf: Was habe ich bloss an diesen Typen gefunden? Weshalb schrieb ich stets "sh" anstatt "sch"? Was bewegte mich dazu, alle 926 Episoden der Telenovela "Anna und die Liebe" zu  schauen? Und warum entschuldigte ich mich bei einem Buch, weil der letzte Eintrag zwei Jahre zurückgelegen war? Überhaupt, diese ganzen Interpretationen von Worten und Blicken nerven mich. Mit den Gedanken weit weg von der englischen Grammatik, wundere ich mich, wie ich nur so naiv sein konnte. Eigenartig, wie sich meine Sprache verändert hat. Meine auf dem Handy getippten Texte enthalten nicht annähernd so vie "ö's und ä's". 


von Gmail komprimiert
Selbst dieses Bild hat mich jetzt auch von meiner eigentlichen Arbeit, dem Blogeintrag, abgelenkt. Für die Fotographie habe ich mein Handy verwendet, da von meiner Digicam wieder einmal der Akku nicht geladen ist. Ich konnte der Versuchung, meine Whatsapp - Nachrichten zu beantworten, einfach nicht widerstehen. Dazu kam noch ein Systemupdate. Ablenkung scheint bei jeder Arbeit willkommen zu sein. 

Ich finde es spannend, wie viel das Interesse an einem Thema ausmachen kann. Die Gleichgültigkeit gegenüber der quadratischen Funktionen und der Geschichte Indonesiens hemmen meine Motivation extrem. Immer wieder versuche ich mir Wissensdurst vorzuspielen, in der Hoffnung, dass etwas in meinem Kopf hängen bleibt. Bevor ich das Handtuch werfe, gebe ich mich mit ein paar auswendig gelernten Formeln oder Zahlen zufrieden. Ganz anders sieht das in den Fächern Chemie und Englisch aus. Dort lese ich die Informationen ein paarmal durch, versuche sie zu verstehen und sie scheinen sich wie von selbst zu festigen. Komischerweise kann ich das Gelernte auch ein halbes Jahr später wieder abrufen, was man von den Binomischen Formeln leider nicht behaupten kann. Eigentlich sollte ich wie Muriel aus meiner Klasse lernen. Sie sagte neulich: "Stell dir einfach vor, du sitzt in zehn Jahren bei Günther Jauch und die Millionenfrage lautet: In welchem Jahr wurde Indonesien unabhängig von den Niederlanden?" Einmal davon abgesehen, wie unwahrscheinlich dieser Vorfall ist, es hat etwas. Bestimmte Informationen können einem momentan noch so belanglos erscheinen, man kann nie wissen, ob diese irgendwann an enormer Bedeutung für einen gewinnen.


Alle Körper sind träge. Ich kann dieses Statement täglich durch verschiedene Beobachtungen meiner Umgebung und auch an mir selber bestätigen. Sonntags bis drei Uhr ausschlafen, einen Pyjamatag machen, Serien schauen, alles in letzter Sekunde erledigen. Jetzt stelle man sich vor, ich hätte an diesem Tag zur Abwechslung ein Buch gelesen; für den Vortrag, den ich in einem Monat habe, recherchiert, mein Zimmer gründlich aufgeräumt oder ein Abendessen gekocht. Würde mich das nicht viel mehr "erfüllen"? All diese Konjuktivformen zeigen, wie antriebslos ich mich manchmal fühle. Ich will gar nicht wissen, wie viele Sonntage ich im Pyjama verbracht habe, obwohl ich in dieser Zeit produktiv hätte sein können. Schon lange wollte ich zum Beispiel ein Buch auf englisch lesen, um meinen Wortschatz mit der Originalsprache eines guten Buches zu erweitern. Aber während der Schulzeit schaffe ich es ja nicht einmal, ein deutsches Buch freiwillig in die Hand zu nehmen. 


"Education is the best provision for old age."
Aristotle (384 BC - 322 BC)

Bildung wird bei uns jedem Bürger vom Staat zur Verfügung gestellt. Mit Bildung kann man etwas im Leben erreichen, das hat schon Aristoteles erkannt. Im 21. Jahrhundert wird es uns so leicht gemacht, vermutlich zu leicht. Will man etwas wissen, kann man es jederzeit rasch googeln aber eine gewisse Allgemeinbildung wird trotzdem von einem erwartet. Wer regelmässig Zeitung liest, befindet sich schon mal auf einem guten Weg. Alles was darüber hinaus geht, muss selbst erarbeitet werden, mit viel Überzeugung und Willenskraft. In diesem Sinne: Man hat nie ausgelernt.




G.